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zum TerminSerdar Yüksel mit Sara Falkenstein.
Die Zahl der Drogentoten in NRW hat einen Rekordwert erreicht: 693 Menschen sind 2021 in Zusammenhang mit Rauschgift-Konsum gestorben. Das Gesundheitsministerium des Landes sieht den Grund dafür in der Corona-Pandemie – in dieser Zeit seien Hilfsangebote nur eingeschränkt verfügbar gewesen.
Den 10. November hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen zum Aktionstag Suchtberatung erklärt. In diesem Jahr steht der Aktionstag Suchtberatung unter folgendem Schwerpunkt: „Wir sind für alle da … noch.“ Gründe genug, auf die Bedeutung professioneller Hilfen hinzuweisen.
Bei der AWO Ruhr-Mitte arbeitet Sara Falkenstein seit Juni 2021 in der Suchtberatung. Im Interview mit Serdar Yüksel, Vorsitzender der AWO Ruhr-Mitte und Mitglied im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales im nordrhein-westfälischen Landtag, spricht sie über die Herausforderungen, vor denen die Suchtberatungsstellen stehen und wie Politik auf die aktuellen Entwicklungen eigentlich reagieren müsste.
Sara Falkenstein: Sie haben mit einer Kleinen Anfrage im Landtag die Vielzahl der Drogentoten erst thematisiert. Welche politischen Rückschlüsse ziehen Sie daraus?
Serdar Yüksel: Warum wir so viele Drogentote haben, ist klar: Beratungsleistungen konnten in der Pandemie nicht so intensiv erbracht werden. Dadurch sind viele gestorben, Institutionen der Suchthilfe haben ein gewisses Klientel gar nicht mehr erreicht. Es gab außerdem eine Zunahme illegaler Drogen, der Markt ist regelrecht überschwemmt worden. Fakt ist: Seit gut 30 Jahren ist die Suchtberatung chronisch unterfinanziert bei steigenden Lohn- und Sachkosten. Da werden die Träger im Stich gelassen und ich sehe bei den Haushaltsberatungen im Land nicht, dass den Kommunen jetzt mehr Geld zur Verfügung gestellt wird.
Die Träger werden im Stich gelassen.
Sara Falkenstein: Warum nicht?
Serdar Yüksel: Die SPD hat immer wieder Anträge gestellt, die von der Landesregierung vom Tisch gefegt wurden. Schwarz-Gelb und jetzt Schwarz-Grün setzen da leider andere Prioritäten und erkennen gar nicht die Notwendigkeit.
Sara Falkenstein: Sie sagen, der Markt wird gerade mit Drogen überschwemmt. Was meinen Sie damit konkret?
Serdar Yüksel: Illegale Drogen, die nach Deutschland kommen, nehmen zu. Bei vielen Abhängigen gibt es nicht nur die eine Sucht. Eine bestimmte Klientel nimmt inzwischen bis zu fünf Suchtmittel gleichzeitig. Übers Internet ist die Beschaffung relativ einfach.
Es gibt gute Gründe, dem Schwarzmarkt den Boden zu entziehen.
Sara Falkenstein: Macht die Legalisierung von Cannabis denn dann Sinn?
Serdar Yüksel: Cannabis wird so oder so konsumiert. Illegalität stärkt nur den Schwarzmarkt und fördert eine Kriminalisierung, wobei Gerichtsverfahren meistens eingestellt werden. Ich habe mir das Modell in Kanada angesehen: Es gibt gute Gründe, dem Schwarzmarkt den Boden zu entziehen und Cannabis – wenngleich staatlich kontrolliert, auch in Bezug zum THC-Gehalt – legal abzugeben. Gleichzeitig braucht es eine flankierende Aufklärungskampagne über die Gefahren. Man muss dringend informieren, welche Nebenwirkungen es gibt. Ich denke etwa an psychotische Erkrankungen.
Sara Falkenstein. Das schreit förmlich nach mehr Prävention. Ich fürchte nur, dass der Schwarzmarkt mit der Begrenzung des THC-Gehalts erst recht explodieren wird.
Serdar Yüksel: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagt, der THC-Gehalt soll 15 Prozent nicht übersteigen. Auf dem Schwarzmarkt gibt es oft doppelt so viel. Ich glaube aber, dass diejenigen, die konsumieren wollen , sich nicht zudrönen, sondern tatsächlich eine legale Droge nutzen möchten, die durchaus einen Effekt erzielt. Aber: Die zusätzlichen Steuereinnahmen müssen dann tatsächlich für Präventionsprojekte genutzt werden, damit klar wird, welche Gefahren mit dem Konsum einhergehen. Das ist ja kein Keks, bei dem man auf Kalorien achten muss. In zwei Jahren ist dann dringend ein Zwischenfazit zu ziehen, wie sich Krankheitsgeschichten entwickelt haben.
Die Beratungsstellen müssen viel mehr in den Schulen präsent sein.
Sara Falkenstein: Mit der Prävention müsste man aber jetzt beginnen, nicht erst 2024.
Serdar Yüksel: Richtig. Das Thema Drogengefahren gehört viel mehr in den Schulunterricht verankert. Eine Litfaßsäule mit Postern kann da keine Antwort sein. Die Beratungsstellen müssen viel mehr in den Schulen präsent sein – mit Hingeh- und keinen Komm-Strukturen. Niemand darf sich generell in seiner Beratungsstelle verschanzen, das funktioniert nicht.
Sara Falkenstein: Viele Klienten haben in der Pandemie mehr Probleme bekommen, auch finanzieller Art durch Jobverlust und Kurzarbeit, das hat sich zugespitzt und das Konsumverhalten verschärft. Das wird langfristig noch weitere Folgen haben.
Serdar Yüksel: Psychische Erkrankungen nehmen zu, Depressionen nehmen zu, es gibt Zukunftsängste und es gibt deutliche Korrelationen zwischen psychischen und Suchterkrankungen. Da klappt oftmals das ambulante Setting nicht, es gibt Drehtüreffekte. Menschen kommen in die Psychiatrie, werden entgiftet, finden dann aber keine ambulanten Strukturen, um sich im eigenen Lebensumfeld zu stabilisieren. Hier muss mehr gemacht werden.
Sara Falkenstein: Und dazu braucht es einfach auskömmlichere Finanzierungen. Wir sind wieder beim Thema.
Serdar Yüksel: Die Konsumierenden werden weiblicher und jünger. Da wandelt sich ein Bild gerade, ich sehe auch hier weitere Herausforderungen auf die Beratungsstellen zukommen. Und da dürfen wir nicht locker lassen, weitere finanzielle Mittel möglich zu machen, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden.
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